HomeErwirkte Rechtsprechung → Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Zulassungsverfahren nur, wenn BVwG die Ermittlungsmängel rasch und ohne größeren Aufwand selbst beseitigen kann; Verhältnis zwischen § 21 Abs 3 und Abs 6a BFA-VG

VwGH - 30.06.2016 - Ra 2016/19/0072
Thema / LandVerfahrensrecht
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"40 Mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 (FrÄG 2015), BGBl. I Nr. 70/2015, wurde in § 21 BFA-VG ein neuer Abs. 6a eingefügt, nach dem unbeschadet des § 21 Abs. 7 BFA-VG das Bundesverwaltungsgericht über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde, der diese von Gesetzes wegen nicht zukommt (§ 17 BFA-VG) oder der diese vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aberkannt wurde (§ 18 BFA-VG), und über Beschwerden gegen zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann.

(...)

44 (...), dass der Gesetzgeber, wenngleich er davon ausgeht, dass der Entfall der Verhandlung den Regelfall darstellen wird, auch für Beschwerden im asylrechtlichen Zulassungsverfahren kein generelles Unterbleiben der Verhandlung vor Augen hat. Vielmehr ist bei der Übung des in § 21 Abs. 6a BFA-VG eingeräumten Ermessens neben den in den Erläuterungen angesprochenen grundrechtlichen Überlegungen auch auf die oben dargestellte Zielsetzung des Gesetzgebers, das Verfahren über eine im Zulassungsverfahren - im Besonderen gegen eine zurückweisende Entscheidung - erhobene Beschwerde rasch einer Erledigung zuzuführen, Bedacht zu nehmen. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, ob mit der in der gebotenen Eile zu treffenden Entscheidung über die Beschwerde auch das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz insgesamt beendet werden kann.

45 (...) ist weiters festzuhalten, dass die in § 21 Abs. 6a BFA-VG enthaltene Wendung "Unbeschadet des Abs. 7" nur so verstanden werden kann, dass damit zum Ausdruck gebracht wird, dass eine Verhandlung jedenfalls immer dann zu unterbleiben hat, wenn die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG vorliegen. In einem solchen Fall stellt sich die Frage, ob nach § 21 Abs. 6a BFA-VG im Rahmen der Ermessensübung von der Durchführung der Verhandlung Abstand genommen werden kann, nicht mehr. Ebenso scheidet dann aber angesichts der im hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017 und 0018 (...) näher angeführten Kriterien zum Verständnis des § 21 Abs. 7 BFA-VG auch die Anwendung des § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG von vornherein denklogisch aus (...).

46 Liegen die Voraussetzungen zur Abstandnahme von einer Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht vor, hat die Beurteilung Platz zu greifen, ob im Sinn des § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG "der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint". (...)

47 Der Verwaltungsgerichtshof geht - nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Erläuterungen zu § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG - daher davon aus, dass immer dann, wenn der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch die Verwaltungsbehörde Ermittlungsmängel anhaften, die nicht vom Bundesverwaltungsgericht in der für die Erledigung des - im Rahmen des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens abzuwickelnden - Beschwerdeverfahrens gebotenen Eile beseitigt werden können, der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattzugeben ist. Eine Verhandlung hat diesfalls zu unterbleiben (vgl. zu letzterem die bereits oben zitierte, in diesem Sinn ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

48 Ist hingegen davon auszugehen, dass das Bundesverwaltungsgericht die Ermittlungsmängel rasch und ohne größeren Aufwand selbst beseitigen kann, hat es von einer Beschwerdestattgebung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG Abstand zu nehmen und die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens (samt der Feststellung allfällig fehlenden Sachverhaltes) selbst vorzunehmen. Dabei hat es sich bei der Beurteilung gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG im Rahmen der Ermessensübung, ob eine Verhandlung durchzuführen ist, neben den bereits oben genannten Umständen auch davon leiten zu lassen, ob die vorhandenen Ermittlungsmängel zweckmäßigerweise durch im Rahmen der Verhandlung vorzunehmende Beweisaufnahmen beseitigt werden können (etwa wenn es gilt, allein die Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers einer näheren Beurteilung zu unterwerfen).

49 Auf den vorliegenden Fall angewendet bedeuten diese Grundsätze Folgendes:

Wie oben dargelegt, haften (bereits) der behördlichen Erledigung Ermittlungsmängel an. Um diese zu beseitigen, bedarf es eines weiteren Schriftverkehrs mit der zuständigen rumänischen Behörde im (internationalen) Rechtshilfeverkehr. Demnach sind die vorliegenden Ermittlungsmängel nicht mehr als solche anzusehen, die das Bundesverwaltungsgericht vornehmen könnte, ohne dass die gebotene Eile, mit der über die im Zulassungsverfahren erhobene Beschwerde zu entscheiden ist, beeinträchtigt wäre. Sohin tritt fallbezogen auch vorerst die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Revisionswerbers in den Hintergrund, weil eine solche erst dann fehlerfrei möglich sein wird, wenn die Ergebnisse der bisher unterbliebenen Erhebungen vorliegen. Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattzugeben gehabt."