HomeErwirkte Rechtsprechung → Notwendigkeit der Ermittlung und Berücksichtigung der Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung auf das Kindeswohl

VfGH - 12.10.2016 - E 1349/2016
Thema / LandMenschenrechte
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"3.4. Das Bundesverwaltungsgericht geht [...] im Widerspruch zu [...] Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte  [...]  davon  aus,  dass  im  konkreten  Fall  der Schutz des durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Familienlebens stark gemindert ist, weil dem Beschwerdeführer die Obsorge  für  sein  Kind  nicht  zukommt  und  der  Kontakt  zur  Tochter  auch  vom Ausland aus aufrecht erhalten werden kann. Damit übersieht das Bundesverwaltungsgericht aber, dass die fehlende Obsorge durch den Beschwerdeführer nicht von der grundrechtlichen Verpflichtung entbindet, die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung auf die Beziehung des Beschwerdeführers zu und das  Wohl  seiner  Tochter  zu  ermitteln  [...]  zumal  aus einem  [...] Schreiben  des Magistrats  der  Stadt Wien [...]  an  das  Bundesamt  für Fremdenwesen und Asyl hervorgeht, dass der Kontakt zum Beschwerdeführer im Interesse des Kindes liegt. Auch wird mit dem formelhaften Verweis auf moderne Kommunikationsmittel in der vorliegenden Konstellation – die  Tochter  des Beschwerdeführers ist im Kleinkindalter  –  der Verpflichtung, die konkreten Auswirkungen der Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers insbesondere auf das Wohl des Kindes zu ermitteln, nicht entsprochen [...]

Wenn das Bundesverwaltungsgericht schließlich vermeint, dass der Umstand, dass das Kind bei Pflegeeltern "gut" aufwächst, für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung spricht, verkennt es, auf welchen Aspekt des Kindeswohles es im konkreten Fall ankommt. In der vorliegenden Konstellation geht es bei der Aufenthaltsbeendigung hinsichtlich des Vaters  aus der Perspektive des Kindes vorwiegend nicht um das Verhältnis zu den Pflegeeltern, sondern darum, der Tochter allenfalls (neben den Pflegeeltern auch) regelmäßigen persönlichen Kontakt zum Vater und damit die Chance zu lassen, seine Beziehung zum (nach der Darstellung des Bundesverwaltungsgerichtes:) einzigen leiblichen Elternteil, zu dem noch Kontakt besteht, zu sichern. 

4. Indem das Bundesverwaltungsgericht auf all diese Überlegungen in keiner Weise spezifisch für den konkreten Fall in seiner Interessensabwägung eingeht, sondern  unter  Außerachtlassen eines wesentlichen Aspektes des Kindeswohles (und des damit in Zusammenhang stehenden Parteivorbringens und Akteninhaltes) mit bloß abstrakt  gehaltenen Hinweisen und ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung  vom  Überwiegen öffentlicher Interessen an der Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers ausgeht, hat es seiner Entscheidung einen nicht von Art. 8 EMRK gedeckten Inhalt unterstellt."