HomeErwirkte Rechtsprechung → "Circular Letter" des italienischen Bundesministers für Inneres gilt keinesfalls als individuelle Betreuungszusage

VfGH - 23.09.2016 - E 1200/2016
Thema / LandDrittstaatsicherheit/Dublin, Italien
LinksEntscheidung im RISEntscheidung im RIS: https://www.ris.bka.gv.at

 "2.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht zunächst aktenwidrig davon aus, dass es
sich  beim  Beschwerdeführer  um  einen  "jungen,  allein  reisenden  Mann  ohne
schwerwiegende  gesundheitliche  Beeinträchtigung"  handelt  und  verneint  das
Vorliegen  einer  besonderen  Vulnerabilität.  Wie  sich  aus  dem  Akt  des  Bundes-
verwaltungsgerichtes  jedoch  ergibt,  ist  der  Beschwerdeführer  ein  58-jähriger
Mann, der mit seinem Lebensgefährten aus dem Iran nach Österreich gereist ist
und der ua. deshalb gesundheitlich beeinträchtigt ist, weil er an Parkinson leidet
und ihm ein "Stent" in ein Herzkranzgefäß eingesetzt wurde. 
2.2. Auf Grund der aktenwidrigen Annahme, dass es sich beim Beschwerdeführer
um  einen  jungen,  gesunden  Mann  handle,  verneint  das  Bundesverwaltungsge-
richt weiters, dass die Einholung einer individuellen Zusicherung der Unterbrin-
gung und der Versorgung des Beschwerdeführers in Italien notwendig sei. Dazu
führt es aus, dass der Beschwerdeführer vorgebracht habe, nach seiner Ankunft
in Italien über ein Jahr in einem örtlichen Flüchtlingslager untergebracht worden
zu sein. Dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes, konkret der Niederschrift von
der Einvernahme des Beschwerdeführers durch einen Organwalter des Bundes-
amtes für Fremdenwesen und Asyl vom 3. Februar 2016, ist aber zu entnehmen,
dass  der  Beschwerdeführer,  der  sich  an  das  genaue  Datum  der  Einreise  nach
Italien  auf  Grund  seiner  Krankheit  nicht  erinnern  könne,  von  einem  kurzen
Aufenthalt in Italien ausging ("Ich denke mal eine Woche").
2.3. Abschließend  sah  das  Bundesverwaltungsgericht  die  "adäquate  Aufnahme
des Beschwerdeführers bei Überstellung nach Italien […] als hinreichend garan-
tiert" an, da es – abermals aktenwidrig – von einer "eingelangten Einzelfallzusicherung" durch die italienischen Behörden ausging, obwohl diese die Möglichkeit der Zusicherung einer individuellen Betreuung des Beschwerdeführers im Schreiben vom 31. März 2016 ausdrücklich verneint haben. Dass das diesem Schreiben angeschlossene Rundschreiben ("Circular Letter") des italienischen Bundesministers  für  Inneres  keinesfalls  als  individuelle  Betreuungszusage  gilt,  und  zwar weder  abstrakt  (vgl.  dazu  schon  VfGH  30.6.2016,  E  449-450/2016  ua.)  noch  in Bezug auf den konkreten Fall (Überstellung eines gesundheitlich beeinträchtigten Mannes nach Italien und nicht einer Familie mit Kindern), sei festgestellt.  

Das  Bundesverwaltungsgericht  hat  durch  diese  Fehler  ein  ordnungsgemäßes
Ermittlungsverfahren  unterlassen,  weshalb  das  angefochtene  Erkenntnis  schon
deshalb mit Verfassungswidrigkeit belastet ist."