HomeArchiv Rechtsprechung → VfGH: C-1175/12 ua.

VfGH - 13.03.2013 - C-1175/12 ua.
Thema / LandAsylverfahren, EU-Recht, Verfahrensrecht, Usbekistan
BeschreibungVerletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (Art. 47 Abs. 2 GRC) wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 41 Abs. 7 AsylG, welcher das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ermöglicht. Da der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt erscheint, hätte der Asylgerichtshof eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen müssen.

(…)

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 Abs 2 GRC verletzt worden.

Die Entscheidungen werden aufgehoben.

(…)

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.1. Der (...) Erstbeschwerdeführer, seine Ehegattin, die (...) Zweitbeschwerdeführerin, und deren gemeinsamer Sohn, der (...) Drittbeschwerdeführer - alle drei sind Staatsangehörige Usbekistans - reisten am 21. März 2011 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten jeweils am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz.

Der Viertbeschwerdeführer - ebenfalls ein usbekischer Staatsgehöriger - ist der (...) in Österreich geborene gemeinsame Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, für den seine Mutter als gesetzliche Vertreterin (...) einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, gaben die Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass der Erstbeschwerdeführer ab September 2010 in Taschkent als persönlicher Chauffeur eines Geschäftsmannes türkischer Nationalität gearbeitet hätte. Dieser hätte einen Supermarkt (...) betrieben, der am 1. März 2011 von der usbekischen Polizei umstellt und geräumt worden sei. Die vor Ort anwesenden Mitarbeiter wären festgehalten, weggebracht und verhört worden. Der Erstbeschwerdeführer gab hierzu an, dass sein Vorgesetzter verdächtigt werden würde, die in Usbekistan verbotene islamische "Nurchilar"-Bewegung zu unterstützen. Dieser Verdacht wäre ebenfalls auf den Erstbeschwerdeführer als engen Mitarbeiter seines Vorgesetzten gefallen.

Da sein Vorgesetzter rechtzeitig vor seinem geplanten Eintreffen bei genanntem Supermarkt gewarnt worden wäre, hätte ihn der Erstbeschwerdeführer zu einem Freund bringen können, wo sich beide vor der Polizei versteckt gehalten hätten. Am 2. März 2011 wäre diese auf der Suche nach ihm in die Wohnung des Erstbeschwerdeführers gekommen und hätte der - zu diesem Zeitpunkt dort anwesenden - Zweitbeschwerdeführerin mit ihrer Verhaftung gedroht, wenn sich der Erstbeschwerdeführer nicht stellen würde. (...)

(...) Im Fall seiner Rückkehr nach Usbekistan fürchtet der Erstbeschwerdeführer, dass er verhaftet und misshandelt werden würde.

Die Zweitbeschwerdeführerin leitete ihre Fluchtgründe hauptsächlich von jenen des Erstbeschwerdeführers ab. Für den Dritt- und den Viertbeschwerdeführer sind keine eigenen Verfolgungsgründe vorgebracht worden.

(…)

1.3. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes (...) wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und die Beschwerdeführer nach Usbekistan ausgewiesen.

2. Die dagegen gerichteten Berufungen, in der die Beschwerdeführer u.a. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragten, wurden - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung (...) abgewiesen.

3. Gegen diese Entscheidungen richten sich die vorliegenden (...) Beschwerden, in denen (...) eine Verletzung des Rechts auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 Abs 2 GRC behauptet werden (...)

(…)

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat (...) erwogen:

(…)

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.1. Derartige, in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof unterlaufen.

2.1.1. Zunächst geht der Asylgerichtshof (...) auf die (...) aktuellen Berichte hinsichtlich des Vorgehens usbekischer Behörden gegen (mutmaßliche) Anhänger der „Nurchilar“-Bewegung, insbesondere in Zusammenhang mit der vom Erstbeschwerdeführer geschilderten Schließung des „Turkuaz“-Supermarktes, ausschließlich wie folgt ein:

„Der erkennende Senat hält ausdrücklich fest, dass inhaltlich dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Bericht der BBC (...) über die (...) Schließung von 50 Unternehmen, inklusive Turkuaz, nicht widersprochen wird und der Bericht dem Amtswissen des Asylgerichtshofes entspricht. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf zu verweisen, dass die Unternehmen laut Bericht deshalb geschlossen worden wären, das diese das günstige Investitionsklima und die ‚brüderlichen Beziehungen‘ (in Usbekistan) missbraucht hätten sowie Steuern hinterzogen hätten. Ausdrücklich ist jedoch diesbezüglich festzuhalten, dass keinerlei Konnex der im Bericht beschriebenen Vorfälle in besagtem Bericht mit dem Beschwerdeführer, einem Usbeken, der angeblich als Chauffeur angestellt gewesen war, festzustellen ist. Es erscheint in höchstem Maße unplausibel, dass er als Chauffeur eines türkischen Geschäftsmannes Steuerhinterziehungen begangen habe, das günstige Investitionsklima ausnütze und er in der folge auch behördlichen Verfolgungen ausgesetzt wäre.“

Damit übersieht der Asylgerichtshof, dass die Beschwerdeführer mit den von ihnen vorgelegten Medienberichten insbesondere das Vorgehen der usbekischen Behörden u.a. gegen den „Turkuaz“-Supermarkt in Zusammenhang mit der Verfolgung der islamischen „Nurchilar“-Bewegung aufzeigen wollten, weshalb eine Auseinandersetzung mit gerade dieser Fragestellung unabdingbar ist.

(…)

2.1.2. Den Erstbeschwerdeführer erachtet der Asylgerichtshof als unglaubwürdig (...)

(...)

2.1.3. Mit allgemein gehaltenen Ausführungen über Ortskenntnisse, Bekleidung und Pünktlichkeit von Chauffeuren, denen jedoch kein Begründungswert im konkreten Verfahren zukommt, meint der Asylgerichtshof die Unglaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers belegen zu können.

(...)

2.1.6. Zum einen können - vom Asylgerichtshof als "unglaubwürdige Schutzbehauptung[en]" gewertete - Aussagen des Erstbeschwerdeführers dem Verwaltungsakt nicht entnommen werden, zum anderen sind die vom Asylgerichtshof behaupteten Widersprüche nicht nachvollziehbar.

2.1.7. Auch den weiteren Argumenten des Asylgerichtshofes, aus denen er die Unglaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers ableitet, kommt kein Begründungswert zu. (...) dass die Angaben in den Einvernahmen (...) in Nuancen unterschiedlich sind, führt jedoch nicht dazu, dass von einem Widerspruch gesprochen werden kann (...).

3. Zu der von den Beschwerdeführern behaupteten Verletzung in ihrem Recht nach Art47 Abs2 GRC aufgrund des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof ist Folgendes festzuhalten:

3.1. Die in der GRC garantierten Rechte können vor dem Verfassungsgerichtshof, insbesondere in einem Verfahren nach Art 144a B-VG, als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte geltend gemacht werden, sofern der Anwendungsbereich der GRC eröffnet ist. Asylverfahren fallen in diesen Anwendungsbereich, sodass der Asylgerichtshof in den bei ihm anhängigen Verfahren insbesondere das gemäß Art 47 Abs 2 GRC gewährleistete Recht eines Asylwerbers auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu beachten hat (eingehend VfSlg. 19.632/2012).

3.2. Für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof regelt § 41 Abs 7 AsylG 2005 den Entfall der mündlichen Verhandlung. Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung steht - sofern zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde - jedenfalls in jenen Fällen im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist (s. VfSlg. 19.632/2012).

3.3. Vor dem Hintergrund der obzitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist für die gegenständliche Rechtsache festzustellen, dass der vorliegende Sachverhalt sichtlich nicht hinreichend geklärt erscheint. Insofern stellt das Absehen von einer - in concreto im Lichte des § 41 Abs 7 AsylG 2005 zweifellos gebotenen - mündlichen Verhandlung durch den Asylgerichtshof eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 47 Abs 2 GRC dar.

4. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher aufzuheben.

(...)