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VwGH - 08.06.2006 - 2005/01/0317-8
Thema / LandDrittstaatssicherheit / Dublin, Slowakei
BeschreibungGefahr einer Kettenabschiebung, Notwendigkeit einer Einzelfall-bezogenen Gefahrenprognose, Art. 3 EMRK, Rechtsgrundsatz individuelle Prüfung des "real risks";

Der Verwaltungsgerichtshof hat gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. März 2005, Zl. 258.010/0-V/15/05, betreffend §§ 5 und 5a AsylG 1997 zu Recht erkannt: Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

 

Entscheidungsgründe: Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Sudan, reiste am 13. Jänner 2005 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Eine vom Bundesasylamt eingeholte EURODAC-Auskunft ergab, dass der Beschwerdeführer am 30. Oktober und am 11. November 2004 in der Slowakei bereits Asylanträge gestellt hatte. Bei Einvernahmen am 17. und 24. Jänner 2005 gab der Beschwerdeführer dazu an, er wolle nicht in die Slowakei zurück, weil "die Slowaken" die Menschenrechte nicht respektieren. Als er in der Slowakei von der Polizei aufgegriffen worden sei, habe man ihn einvernommen und er sei dabei mit einer Holzstange geschlagen und beschimpft worden. Der Rechtsberater des Beschwerdeführers äußerte in einer Stellungnahme allgemeine Bedenken an der slowakischen Asylrechtspraxis und führte abschließend aus, dem Beschwerdeführer drohe im Falle der Rückstellung in die Slowakei eine Kettenabschiebung.

 

Über Anfrage des Bundesasylamtes vom 19. Jänner 2005 teilte die zuständige Diensstelle des slowakischen Innenministeriums mit, den Beschwerdeführer wieder aufzunehmen und die Verpflichtung zur Prüfung seines Asylantrages zu akzeptieren.

 

Mit Bescheid vom 4. Februar 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs 1 AsylG 1997 als unzulässig zurück, erklärte die Slowakei gemäß Art. 16 (1) (c) der Dublin-II-Verordnung für zuständig und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei aus.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführerd Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. [...] Dieser wies die Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshofs zur Entscheidung darüber, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden sei, ab. In der Begründung seiner Entscheidung führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass eine Nachprüfung durch die österreichischen Behörden, ob Mitgliedstaaten der EU für Asylwerber aus Drittstaaten generell sicher seien, nicht zu erfolgen habe, weil die entsprechende Vergewisserung nicht durch die Mitgliedstaaten, sondern durch die Organe der EU, im konkreten Fall durch den Rat bei Erlassung der Dublin-II-Verordnung, erfolgt sei. [...] Sollte eine innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers etwa durch eine Kettenabschiebung bedroht seien, so sei aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Eintrittsrecht zwingend auszuüben. Im gegenständlichen Fall habe sich die belangte Behörde mit der Frage befasst, ob das Risiko einer Kettenabschiebung bestehe und habe dieses Risiko verneint. Insofern sind ihr keine groben Verfahrensfehler unterlaufen, die einen Eingriff in das Grundrecht nach Art. 3 EMRK darstellten. Ob die belangte Behörde aber eine ausreichende "ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßnahmen des "real risk" vorgenommen habe, müsse der Verwaltungsgerichtshof entscheiden. Dieser hat dargelegt, dass die Teilnahme der Slowakischen Republik an der Zuständigkeitsordnung der Dublin-II-Verordnung eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in diesen Mitgliedstaat im Einzelfall nicht unzulässig macht, sondern eine solche Prüfung aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen zwingend geboten ist. [...] Es ist daher erforderlich, dass die Asylbehörden, wenn insofern vom Asylwerber konkrete Anhaltspunkte dargetan werden oder solche von amtswegen bekannt sind, fallbezogen eine Gefahrenprognose erstellen, die sich auf die persönliche Situation des betroffenen Asylwerbers zu beziehen hat und in ganzheitlicher Bewertung beurteilt, ob ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes - "real risk" besteht, der Asylwerber könnte im Zielstaat eine Behandlung erfahren, die zur Folge hätte, dass den österreichischen Behörden durch die Überstellung in diesen Staat eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorzuwerfen wäre.[...]  Entgegen diesen Rechtsgrundsätzen hat die belangte Behörde die Ansicht vertreten, es bedürfe "einer solchen individuellen Prüfung" nicht. Damit hat sie die Rechtslage verkannt und kann der Bescheid deshalb keinen Bestand haben.