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Asylgerichtshof - 13.10.2006 - 235.204/0-VIII/22/03
Thema / LandNachfluchtgrund, religiöse Verfolgung, Iran
BeschreibungNichtigkeit der Ehe durch Konversion des Ehemannes; Folgen gem. iranischem Strafgesetzbuch; Konversion der BW selbst wahrscheinlich; Nachfluchtgründe; Naheverhältnis zu missionarischen Freikirchen; Asyl
[…] Der unabhängige Bundesasylsenat hat […] entschieden:

Die Berufung […] gegen den Bescheid des Bundesasylamtes […] wird stattgegeben und […] gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt.

[…] Die Asylwerberin, eine iranische Staatsangehörige, gelangte am 23.9.2002 gemeinsam mit ihrem Ehemann […] sowie den drei gemeinsamen Kindern […] nach Österreich und stellte noch am selben Tag einen Asylantrag.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Graz […] wurde der Asylantrag vom 23.09.2002 abgewiesen und unter Spruchteil II. die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Asylwerberin in den Iran gemäß § 8 AsylG ausgesprochen. Gleichzeitig wurde in diesem Bescheid über die Kinder […] und […] entschieden.

In der Beweiswürdigung wurde auf Widersprüche bezüglich den Angaben ihres Ehemannes hingewiesen und schlussfolgernd ausgeführt, dass den Angaben der Asylwerberin bezüglich der Verfolgung ihres Ehegatten kein Glauben geschenkt werden könne.

Rechtlich begründend wurde in der Folge dargelegt, dass die Asylwerberin keine gegen sie selbst gerichteten Verfolgungshandlungen im Sinne des AsylG vorgebracht habe.

Zur Person der Berufungswerberin wird folgendes festgestellt:

Sie ist iranische Staatsangehörige und gehört im Iran keiner ethnischen Minderheit an. Sie ist geborene Moslemin und hat sich während ihrer Mittelschulzeit kritisch gegenüber der islamischen Revolution geäußert; das war der Grund dafür, dass sie trotz sehr gutem Maturaerfolg nicht studieren durfte.
[…] Nach ihrer Ankunft in Österreich am 23.09.2002 suchte sie – auch beeinflusst durch ihren Mann – bewusst Kontakte zu christlichen Organisationen. […] Über ihren Ehegatten lernte sie im Frühjahr 2006 die Baptistenkirche kennen, wo sie in der Zwischenzeit – gemeinsam mit ihrem Mann - regelmäßig Veranstaltungen besucht, insbesondere auch die Gottesdienste der Baptistenkirche und beginnt sie im September 2006 mit dem Bibelunterricht sowie in der Folge mit dem Taufunterricht, wobei eine Taufe für Anfang 2007 in Aussicht gestellt wurde. Sie selbst sieht sich nicht mehr als Moslem, sondern glaubt an Jesus Christus und sie kann auch nicht vorstellen, bei einer allfälligen Rückkehr in den Iran wieder zum Islam zurückzukehren.
Ihrem Ehemann […] wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates […] (rechtskräftig) Asyl zuerkannt, während der jüngste Sohn […] zwischenzeitig seinen Asylantrag zurückzog.

Ergänzend wird Folgendes fallbezogen festgestellt:
Nach § 1059 des iranischen Zivilgesetzbuches führt der Umstand, dass eine moslemische Frau mit einem nicht moslemischen Mann verheiratet ist, weil dieser zum Beispiel nach der Eheschließung zu einer anderen Religion wechselt, zur Nichtigkeit der Ehe.
Gemäß Art. 88 des iranischen Strafgesetzbuches ist als Sanktion für den Geschlechtsverkehr einer Frau außerhalb der Ehe eine Strafe von 100 Peitschenhieben vorgesehen, wobei allerdings strenge Beweisanforderungen gestellt werden.

[…] Das Vorbringen der Asylwerberin ist durchaus konkret und substanziiert sowie in sich schlüssig. Da sich die Berufungswerberin nunmehr ausschließlich auf Fluchtgründe stützt, die erst nach dem Verlassen des Irans entstanden sind, sind auch die von der Behörde erster Instanz als Grund für ihre Unglaubwürdigkeit hervorgehobenen Differenzen zu den Aussagen ihres Ehemannes betreffend seine Verfolgung im Iran nicht mehr von Bedeutung.

[…] Die Berufungswerberin hat sich nicht auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt. Vielmehr werden ihre Aussagen hinsichtlich einer Hinwendung zum Christentum auch durch die glaubwürdig erscheinende Aussage des Zeugen Johann Schalk von der Baptistengemeinde Graz sowie durch eine Bestätigung der selbigen religiösen Gemeinschaft untermauert.

[…] Während die Berufungswerberin nach ihren übereinstimmenden Angaben bei der Erst- und Zweitinstanz zum Zeitpunkt ihrer Ausreise weder verfolgt noch verfolgungsgefährdet war, sind im Zuge ihres nunmehr schon rund vier Jahre dauernden Aufenthaltes in Österreich nachträglich zwei durchaus relevante Fluchtgründe entstanden (Nachfluchtgründe), welche mit dem Übertritt des Ehemannes der Berufungswerberin zum Christentum und seine Anerkennung als Flüchtling aus diesem Grunde in Zusammenhang stehen:

Da ist zunächst einmal ihr im Moment noch „innerer“ Abfall vom Islam und ihre Zuwendung zum Christentum zu betrachten, mag sie jedoch formell nach wie vor Moslem sein, zumal sie noch nicht getauft wurde.

Nach der aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 30.06.2005, Zahl: 2003/20/0544) ist zur Frage der Verfolgungsgefahr bei Iranern, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung des behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grunde mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (so schon im Erkenntnis des VwGH vom 24.10.2001, Zl. 99/20/0550, ebenfalls VwGH vom 17.10.2002, Zahl: 2000/20/0102).
In gleichem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 31.05.2001, Zl. 2001/20/0054, im Zusammenhang mit einer noch nicht erfolgten, aber beabsichtigen Konversion zum Ausdruck gebracht, dass für die Beurteilung des Asylanspruches maßgeblich sei, ob der Asylwerber in seinem Heimatstaat in der Lage war, eine von ihm gewählte Religion frei auszuüben, oder ob er bei Ausführung seines inneren Entschlusses, vom Islam abzufallen und zum Christentum überzutreten, mit asylrelevanter Verfolgung rechnen müsse.

[…] Es steht im folgenden Fall doch mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass die Berufungswerberin (innerlich) vom Islam abgefallen und zum Christentum übergetreten ist, da keinesfalls ausreichende Indizien vorliegen, um von einer „Scheinkonversion“ zu sprechen und verdichten sich auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Berufungswerberin bei einer hypothetischen Rückkehr in den Iran bereit wäre, wieder zum ursprünglichen Glauben „reuig“ zurückzukehren.

Bei der Berufungswerberin spricht überdies noch das Faktum, dass sie ein Naheverhältnis zu einer stark missionarisch ausgerichteten protestanischen (frei)kirchlichen Gemeinschaft hat, denen der Verwaltungsgerichtshof auch bei einfachen Mitgliedern eine Verfolgungsgefahr zubilligte (siehe VwGH vom 24.10.2001, 99/20/0550), für eine gravierende Verfolgungsgefahr.

Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Berufungswerberin bei einer Rückkehr in den Iran Eingriffen von hoher Intensität in ihre zu schützende Sphäre (im schlechtesten Fall sogar die Todesstrafe) erleiden würde.

Dazu kommt noch, dass aufgrund des Umstandes, dass die Berufungswerberin wohl noch formell Moslem ist, ihre Ehe mit ihrem zum Christentum übergetreten Ehemann von den iranischen Behörden als nichtig angesehen würde und ein Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann daher – zumindest für den Fall, dass die hohen Beweisanforderungen erfüllt würden – mit äußerst hohen und jedenfalls als unmenschlich anzusehenden Sanktionen (100 Peitschenhiebe) belegt würden, wobei der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgeführt hat, dass derartige unverhältnismäßige, wohl ursprünglich dem Schutz religiöser Werte dienende Vorschriften aufgrund der im Iran herrschenden totalen Einheit von Staat und Religion auch im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal der (unterstellten) politischen Gesinnung stehen.