HomeArchiv Rechtsprechung → Objektive Willkür des AsylGH infolge Verkennung der durch die Rechtsprechung des EuGH geklärten Rechtslage betreffend Schutz der UNRWA (UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Neat East)

VfGH - 29.06.2013 - U 706/2012
Thema / LandEU-Recht, Israel, Palästinensische Gebiete
BeschreibungEine Registrierung von Palästinaflüchtlingen bei UNRWA reicht als Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme der Hilfe durch eine von der GFK erfasste Organisation aus. Der Schutz durch UNRWA muss als "aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt" betrachtet werden, wenn nicht vom Betroffenen zu kontrollierende, von seinem Willen unabhängige Gründe vorliegen, die ihn zwingen, das Gebiet zu verlassen, wodurch der "ipso facto"-Schutz der Statusrichtlinie zur Anwendung kommt. Unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 12 Statusrichtlinie.

Spruch

I.          Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

[…]

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, angefochtene Entscheidung und Vorverfahren

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer ist ein aus dem Gazastreifen stammender staatenloser Palästinenser. Nach illegaler Einreise nach Österreich stellte er am 19. Mai 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er sei – nachdem er Schutzgeldforderungen für den von ihm betriebenen Supermarkt abgelehnt habe – mehrfach von  Leuten der Hamas eingesperrt worden und auch sein Geschäft sei niedergebrannt worden. Im Fall einer Rückkehr fürchte er, erneut von der Hamas inhaftiert und schlecht behandelt zu werden.

2. Mit Bescheid vom 14. September 2011 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ab. [...] erkannte das Bundesasylamt den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

2.1. Der Asylgerichtshof wies die – nur hinsichtlich Spruchpunkt I (Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten) erhobene – Beschwerde als unbegründet ab. Unter anderem geht der Asylgerichtshof davon aus, dass aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer als "palästinensischer Flüchtling" iSd Art1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention (im Folgenden: GFK) bis zu seiner Ausreise berechtigt gewesen sei, Beistand der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (im Folgenden: UNRWA) in Anspruch zu nehmen, nichts für dessen gegenständlichen Antrag auf Internationalen Schutz in Österreich zu gewinnen sei.

Dies begründet der Asylgerichtshof zum einen mit der Aussage, der Beschwerdeführer sei zwar – wie auch die vorgelegte, auf seinen Namen ausgestellte Registrierungskarte belege – als staatenloser palästinensischer Flüchtling bis zu seiner Ausreise berechtigt gewesen, den Beistand der UNRWA in Anspruch zu nehmen, er habe den Beistand aber nicht mehr tatsächlich in Anspruch genommen. Als "Beleg" für diese Annahme verweist der Asylgerichtshof auf die Aussage des Beschwerdeführers, er habe vor seiner Ausreise keine Lebensmittel mehr von der UNRWA bezogen, weil die Rationen so "winzig" gewesen seien, dass es sich nicht mehr "gelohnt" hätte. Zum anderen habe der Beschwerdeführer keine Gründe individueller Verfolgung glaubhaft machen können, auf Grund derer es ihm unmöglich wäre, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren und den Schutz der UNRWA erneut in Anspruch zu nehmen.

[…]

3. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofes richtet sich die vorliegende [...] Beschwerde [...].

II. Rechtslage

1. Die §§3, 6 und 8 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005) BGBl I 100/2005 in der jeweils relevanten Fassung (§§3 und 6 in der Stammfassung, §8 idF BGBl I 122/2009) lauten wie folgt:

 

[…]

 

Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

 

§6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn

1. und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

 

[…]

 

2. Art. 1 Abschnitt D und Art. 5 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. 55/1955 idF BGBl. 78/1974 (Im Folgenden: GFK), lauten wie folgt:

 

"Artikel 1

Definition des Ausdruckes 'Flüchtling'

[…]

 

D. Dieses Abkommen wird auf Personen keine Anwendung finden, die derzeit von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Hilfe erhalten. Wenn dieser Schutz oder diese Hilfe aus irgendeinem Grunde wegfällt, ohne daß die Stellung dieser Personen gemäß den bezüglichen Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geregelt ist, so werden diese Personen ipso facto der Vorteile dieses Abkommens teilhaftig.

 

[…]

 

3. Die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Art 2, 12 und 38 der RL 2004/83/EG über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 304, 12 ff. (im Folgenden: Status-RL) haben folgenden Wortlaut:

 

[…]

 

Artikel 12

Ausschluss

(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er

a) den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie;

[…]

 

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

[…]

3.1. Der Beschwerdeführer legte im Asylverfahren eine auf seine Person ausgestellte "UNRWA Registration Card" vor. Bei der UNRWA handelt es sich um eine Organisation der Vereinten Nationen iSd Art1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention, auf den sowohl Art 12 Abs 1 lit a der Status-RL sowie § 6 Abs1 Z 1 AsylG 2005 Bezug nehmen. Die Rechtsstellung von Asylwerbern, die grundsätzlich dem Schutz einer von Art1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation unterstehen, unterscheidet sich in folgender Hinsicht von jener anderer Asylwerber: Art 12 Abs 1 lit a Status-RL sieht – in Entsprechung des Art1 Abschnitt D GFK – einerseits vor, dass Drittstaatsangehörige oder Staatenlose von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen sind, wenn sie unter dem Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Art 1 Abschnitt D GFK stehen. Andererseits genießen vom Anwendungsbereich der genannten Bestimmungen erfasste Personen dann, wenn der Schutz oder Beistand einer solchen Organisation "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, "ipso facto" den Schutz der Status-RL bzw. der GFK. Auf Grund dieses in Art12 Abs1 lita der Status-RL angeordneten "ipso facto"?Schutzes sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung erfassten Personen auf Antrag den Status von Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn der Beistand einer Organisation der Vereinten Nationen iSd Art1 Abschnitt D GFK "aus irgendeinem Grund" wegfällt und keiner der in Art 12 Abs 1 lit b oder Abs 2 und 3 Status-RL genannten Ausschlussgründe vorliegt (vgl. EuGH 19.12.2012, Rs. C-364/11, Mostafa Abed El Karem El Kott ua., Rz 76).

3.2. Österreich ist seiner Verpflichtung, die Status-RL und damit auch den genannten Art. 12 der Status-RL in innerstaatliches Recht umzusetzen, insoweit nachgekommen, als nach dem in § 6 Abs. 1 z 1 AsylG 2005 normierten Asylausschlussgrund einem Fremden kein Asyl gewährt werden kann, „so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt“. Eine ausdrückliche Regelung, die die – in Satz 2 des Art 12 Abs 1 lit a der Status-RL vorgesehene – "ipso facto"-Zuerkennung von Asyl an Personen, denen gegenüber der Beistand der UNRWA "aus irgendeinem Grund" weggefallen ist, anordnen würde, enthält das AsylG 2005 jedoch nicht. Der "ipso facto"-Schutz bewirkt insofern eine Privilegierung von Personen, die unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind, als diese – im Unterschied zu nicht unter Art 12 Abs 1 lit a der Status-RL fallenden Personen – für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft machen müssen, sondern nur darzutun haben, dass sie unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind, dass dieser Beistand aus irgendeinem Grund weggefallen ist und dass keiner der in Art 12 Abs 1 lit b oder Abs 2 und 3 Status-RL genannten Ausschlussgründe vorliegt (vgl. EuGH 19.12.2012, Rs. C?364/11, Mostafa Abed El Karem El Kott ua., Rz 76). Somit dürfte es sich bei Satz 2 des Art12 lita der Status-RL um eine den Einzelnen begünstigende unionsrechtliche Regelung handeln, die mangels Umsetzung in der am 10. Oktober 2006 abgelaufenen Umsetzungsfrist (vgl. Art38 Status-RL) unmittelbar anzuwenden sein dürfte.

Da der Beschwerdeführer […] eine Registrierungskarte der UNRWA vorgelegt hat, hatte der Asylgerichtshof zu prüfen, ob der Beschwerdeführer nicht den Asylausschlussgrund des – in Umsetzung des Art 12 Abs 1 lit a 1. Satz ergangenen – § 6 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 erfüllt. Nach der Begründung des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache Bolbol liegt mit der "Registrierung bei der UNRWA ein ausreichender Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme ihrer Hilfe" vor (EuGH 17.6.2010, Rs. C?31/09, Nawras Bolbol, Rz 52). Demgegenüber geht der Asylgerichtshof, der den Asylantrag des Beschwerdeführers am Maßstab des § 3 AsylG 2005 prüft, offenbar davon aus, dass der Asylausschlussgrund des § 6 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 nicht erfüllt ist, wenn eine Person zwar bei der UNRWA registriert ist, jedoch – wie der Beschwerdeführer – vor seiner Ausreise keine Lebensmittel der UNRWA mehr bezogen hat. Damit hat der Asylgerichtshof – ohne dem Gerichtshof der Europäischen Union diese Frage vorzulegen – seiner Entscheidung eine Interpretation des den (ersten Teil) des Art12 Abs1 der Status-RL in innerstaatliches Recht umsetzenden § 6 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 zugrunde gelegt, die der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union zur genannten Bestimmung der Status-RL zu widersprechen scheint.

3.3. Da der Asylgerichtshof nicht vom Vorliegen des Asylausschlussgrundes des § 6 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 ausgegangen ist, war für den Asylgerichtshof auch die Frage von Bedeutung, ob der Beschwerdeführer nicht "ipso facto" den Schutz der Status-RL genießt, weil ihm der Beistand der UNRWA zwar – jedenfalls – in der Vergangenheit gewährt wurde, nunmehr jedoch "aus irgendeinem Grund" iSd Status?RL nicht mehr gewährt wird. Der AsylGH geht offenbar davon aus, dass ein Wegfall des Beistandes der UNRWA aus "aus irgendeinem Grund" iSd Art1 Abschnitt D GFK und iSd Art 12 Abs 1 Z 1 Satz 2 Status-RL nur bei Glaubhaftmachung individueller Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A der GFK anzunehmen sei. In seiner im Dezember 2012 – und somit nach der vorliegenden Entscheidung des AsylGH ergangenen –  Entscheidung in der Rechtssache El Kott ist der Gerichtshof der Europäischen Union aber gerade nicht davon ausgegangen, dass der "ipso facto"-Schutz infolge des Wegfalls des Beistandes "aus irgendeinem Grund" ausschließlich im Fall individueller Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A der GFK eintritt; er hat vielmehr ausgeführt, dass die nationalen Behörden für "die Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz im Sinne dieser Bestimmung […] tatsächlich nicht länger gewährt wird, […] zu prüfen [haben], ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen" (EuGH 19.12.2012, Rs. C?364/11, Mostafa Abed El Karem El Kott ua., Rz 61).

3.4. Indem der Asylgerichtshof somit zum einen davon ausgegangen ist, dass die Registrierung bei der UNRWA nicht zum Nachweis für die tatsächliche Inanspruchnahme des Schutzes der UNRWA ausreiche, und indem er zum anderen angenommen hat, dass ausschließlich bei Vorliegen individueller Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A der GFK davon auszugehen sei, dass der Schutz der UNRWA "aus irgendeinem Grund" iSd Art 1 Abschnitt D GFK und iSd Art 12 Abs 1 lit a Satz 2 Status-RL weggefallen ist, hat er die durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union geklärte Rechtslage in maßgeblicher Weise verkannt und damit objektiv Willkür geübt.

[…]

4. Im fortgesetzten Verfahren wird der Asylgerichtshof zu prüfen haben, ob er über die Beschwerde auf Grund des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtsachte El Kott entscheiden kann, oder ob er vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles gegebenenfalls weitere Fragen an den Gerichtshof der Europäischen Union richten muss.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

[…]